Barbara Storck-Brundrett bringt es auf den Punkt: Die Realität bietet einer Künstlerin so viel Stoff, dass sie voll aus dieser schöpfen kann. Heißt das, dass ihre Kunstwerke nur ein Abbild der Realität sind? Keineswegs. Storck-Brundrett verdichtet die Informationen, die sie im Supermarkt, in den Medien oder in der Natur aufnimmt, und erzählt mit ihren "Produkten" neue Geschichten ...
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In ihrem Werk gibt es zwei große Werkgruppen: die "Unruhekissen" und die Tuben. Bei den Unruhekissen, die von der Form und ihrer Dreidimensionalität Kissen zu sein vortäuschen, handelt es sich um Leinwände, die eher in den Bereich der Alpträume als in den der süßen Träume abdriften. Während ein Ruhekissen zum Träumen einlädt, evozieren Barbara Storck-Brundretts Kissen Bilder von Unheil und Kuriosem: menschenleere Strände, an denen nur die Hinterlassenschaften der Strandbesucher zu sehen sind; Krokodile im Schwimmbad; schöne Blumen, die bei näherem Hinsehen, hungrige Mäuler als Fruchtblatt haben. Wie Träume, erzählen ihre Unruhekissen Geschichten. Und genauso wie Träume manchmal merkwürdige Zusammenhänge in Verbindung bringen, die einer Interpretation bedürfen und einen morgens nach dem Aufwachen rätseln lassen, so überlässt sie es dem Betrachter die Szene/den Tatort zu rekonstruieren.
Ihre Tuben sind viel direkter - und gleichzeitig ein Bluff. Auch sie sind dreidimesionale Leinwände - also keine Tuben im herkömmlichen Sinne. Sie geben vor, etwas zu enthalten, was es so nicht gibt, was man sich aber vielleicht wünscht - wie z.B. eine schnelle Lösung für ein dringendes Problem. Ihre Tuben sind sowohl ein Spiegelbild der Werbung mit ihren Versprechen als auch der Menschen mit ihrem Wunschdenken. Indirekt spricht sie unsere Verführbarkeit an. Der Erfolg von Teleshopping und populistischen Politikern beweist, dass viele Menschen es vorziehen, lieber nicht nachzudenken statt sich kritisch mit Versprechen und Inhalt auseinanderzusetzen.
Im Grunde ist die Realität manchmal ziemlich absurd. Satire und Humor sind Mechanismen diese Absurdität auszuhalten und diese mit Hilfe der Kunst auf den Punkt zu bringen.
Virtuell 5: Steve Johnson - What is seen and what is made
01. September - 31. Oktober 2016
Ein Grundgedanke hinter den Arbeiten des englischen Künstlers Steve Johnson ist seit über drei Jahrzehnten die Vorstellung von Architektur als Metapher. Johnson beobachtet städtische Landschaften mit ihren Straßen und öffentlichen Verkehrswegen, mit ihren Wahrzeichen und verschiedenen Gebäudetypen. Aus diesen Beobachtungen entsteht seine Kunst.
Beobachten und Sehen ist das eine; ein Kunstwerk zu schaffen etwas völlig anderes.
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Johnsons kreativer Prozess beinhaltet das In-sich-Aufnehmen der Beobachtungen, um danach metaphorischen Inhalt künstlerisch umzusetzen. Die Veränderungen, die der Künstler vornimmt, sind seine künstlerische Freiheit. Johnson bezeichnet diesen Prozess als eine "Konkretisierung der Gedanken".
In seinem Fall sind die Recherchen zu einem Kunstwerk häufig Fotos. Das Kunstwerk, das an die Realität angelehnt ist, ist meistens eine Skulptur, die Johnson eigenhändig in seinem Atelier herstellt.
Die folgende virtuelle Ausstellung auf unserer Webseite bietet die Möglichkeit, den Unterschied zwischen der Realität als Impuls im Vergleich zu realsierten Kunstwerken zu zeigen.
Die Übersetzung/Transformation alltäglicher Erfahrungen in eine visuelle Sprache kann eine der Aufgaben des bildenden Künstlers sein. In dieser Transformation liegt die Kunst - gerade heute, wo jeder, der ein Smartphone besitzt, auch Fotograf ist.
Das Transformieren involviert Kunstgriffe, Täuschung, Übertreibung, das Hinzufügen und das Weglassen und kann dramatisch, geistreich, schockierend, politisch oder melancholisch sein. Es kann eine beliebige Anzahl abstrakter Gedankenvorgänge verkörpern. In Johnsons Fall sieht die Kunst, die er kreiert, nie aus wie das, was er in der realen Welt gesehen hat. Die Transformation kann manchmal sehr geradlinig sein - einfach und direkt, ohne Interpretationsschierigkeiten. Manchmal kann sie auch indirekt sein, was eine einfache Erläuterung oder das Verständnis eines Werks erschwert.
Das Weglassen und die Vermischung von Informationen aus den vielen Fotovorlagen kann ein Teil der Transformation sein. Es illustriert aus das subjektive Treffen von Entscheidungen seitens des Künstlers. Seine Arbeitsmethode hat nicht das Ziel, einen real existierenden Ort nachzubauen oder ein Architekturmodell für ein künsftiges Gebäude zu liefern.
Johnsons Arbeiten sind Psychologiemodelle in drei Dimensionen. Man könnte auch sagen, dass seine Werke den Unterschied zwischen einer urbanen und einer imaginären Landschaft beschreiben, zwischen "landscape" und "mindscape". Wer mag beurteilen, welche realer ist?
Der Künstler bedankt sich bei Peter Cattrell, Marius Domkus, Martin Pfahler, Stephen Robson und Ulrike Kutschera für ihre Fotos, durch die "Virtuell 5" realisert werden konnte.
Mit unserer Reihe "virtuell" haben wir die Möglichkeit, Ausstellungen zu zeigen, die man nicht in einer "normalen" Galerieausstellung präsentieren kann. das trifft besonders zu bei der Ausstellung "public" von Konrad Winter. Hier geht es nämlich um Werke, die der Salzburger Künstler im öffentlichen Raum realisiert hat. Bevor wir also von Salzburg über Freiburg nach Unna reisen, um Projekte zu zu besichtigen, sind sie nun hier gebündelt zu sehen.
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Auftragsarbeiten entstehen unter anderen Kriterien als "freie" Arbeiten eines Künstlers. Die Architektur muss mit einbezogen werden, ebenso Sichtachsen und Blickwinkel. Das gilt auch für die Vorstellungen des Auftraggebers, der mit der Kunst eine Außenwirkung erzielen will, vielleicht auch etwas Identitätsstiftendes.
Von Konrad Winter gibt es verschiedene Werkgruppen. Am bekanntesten ist sicherlich seine Reihe der "getarnten Landschaften". Statt nur ein Objekt in einer Landschaft zu tarnen, verwandelt Winter komplette Ansichten einer Stadt, eines Parks, einer Landschaft in ein Tarnmuster. Aus der Nähe sieht man nur farbige amorphe Farbflächen. Erst mit etwas Distanz erkennt man die Szene. Bei seinem bisher größten Projekt, entstanden für das Institut für Patholologie an der Uniklinik Freiburg, ist dieses Spiel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit auch im Titel ablesbar: Zellstruktur (Münsterplatz) - siehe Bilder 13 - 17. Bei dieser großen Arbeit im Treppenhaus des Instituts sind - je nach Blickwinkel - in der Tat nur farbige "Zellstrukturen" zu erkennen. Man könnte meinen, dass der Künstler Mikroskop-Aufnahmen aus dem Institut als Vorlage für seine Malerei verwendet hat - wenn da nicht der Hinweis "(Münsterplatz)" wäre.
Im Parkhaus am Salzburger Bahnhof lächeln "Abendgesellschafter" in leuchtendem Gelb mit schwarzen Konturen von den Wänden und weisen dem Parkenden den Weg zur Parklücke - siehe Bilder 4 - 7. Bei der Reihe der "Abendgesellschafter" handelt sich um Porträts von bekannten Personen, die man abends, sozusagen zur besten Sendezeit, im Fernseher sehen kann. Leisten sie dem Zuschauer abends Gesellschaft - oder sind es gesellschaftlich wichtige Personen, die man abends auf dem Bildschirm sieht? Oder sind die Persönlichkeiten Gesellschafter im Sinne einer Aktiengesellschaft? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt der Künstler selbst.1996 installierte Winter ein Fersehzimmer in der Salzburger Galerie 5020 - siehe Bild 2. Man schaut auf einen Fernsehsessel mit Beistelltisch, eine Stehlampe und einen Fernsehapparat. Alle Möbelstücke sind verkleidet in einer einheitlichen schweren "Holzoptik" ... Eiche rustikal? An der Wand setzen sich sechs farbige Holztafeln in der Größe eines Fernsehbildschirms mit Szenen aus Filmen ab. In diesem Raum ist nur eine Sitzgelegenheit und diese ist auch nur für eine Person, die direkt vor dem Fernsehgerät sitzt.
In der Tiefgarage ist auch ein Leuchtkasten mit einer Stempelarbeit aus der Reihe "Deutsche Aktien" zu sehen - siehe Bild 6. Aus der Ferne sehen die Arbeiten aus wie ein Mosaik - oder auch wie gepixelte Fotos. Die "Pixel" bestehen aus den Firmenlogos deutscher Aktiengesellschaften, wie Telekom, Bayer, Deutsche Bank, VW oder Daimler.
Gemeinsam haben alle drei Werkreihen, dass sie mit in unserem kollektiven Gedächtnis gespeicherten Bildern arbeiten. Die Medien bieten uns eine immer größer werdende Bilderflut an. Die Stadtansichten, Personen des öffentlichen Lebens oder die Logos weltweit agierender Firmen lösen beim Betrachter Assoziationen und ein (Wieder-) Erkennen aus. Auch bei einer der jüngeren Auftragsarbeiten, nämlich an der Sparkassenakademie Stuttgart, gilt diese Strategie - wenn auch hier das kollektive Gedächtnis der Mitarbeiter angesprochen wurde - siehe Bilder 28 und 29 . Es handelt sich nämlich um deren Lieblingsfotos.
Virtuell 3. Albrecht Wild: Ukiyo-e. Aus dem Land der aufgehenden Sonne
1. - 31. Mai 2016
Seit mehr als einem Jahrzehnt bereist Albrecht Wild in unregelmäßigen Abständen Fernost. Auslöser war eine erste Ausstellung in Japan (Kaze Gallery, Osaka, kuratiert vom dortigen Goethe-Institut Kansai). Der Sog des Fremden, diese spannende Mischung aus Tradition und hypermoderner Technologie hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Gerne lässt er sich treiben in dieser kuriosen Sensation, und natürlich würde all dies auch irgendwann Eingang finden in seine Kunst.
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Neben dem Sammeln von Material (hier: Bierdeckel) und einem klaren Konzept ist der Zufall eine wichtige Triebfeder für seine Kunst. Kurz vor dem Abflug von Tokyo-Haneda investiert er die letzten Yen in Souvenirs: in Kimono-Form gestanzte und mit traditionellem Dekor bedruckte Untersetzer. Er kauft Mengen davon, denn es bedarf immer dreier identischer Einzelteile für ein Werk.
Im heimischen Frankfurter Atelier werden aus den wertvollen japanischen Untersetzern die "Haneda-Kimonos", die seine langjährige und sich ständig erweiternden Werkgruppe der "Beermats" ergänzen. Bei der weiteren Materialsuche, nun aus der Not geboren via online-Recherche, stößt Wild - wieder dem gesteuerten Zufallsprinzip geschuldet - auf Untersetzer aus den 70er Jahren und beginnt umgehend auf der ganzen Welt (USA, Kanada, Japan, Europa) Serien der "Ukiyo-e"-Untersetzer zu ersteigern.
Diese Serien wurden vor Jahrzehnten u.a. von Fluggesellschaften als Marketingartikel erfunden und produziert, um die neuen Flugrouten in die aufstrebende Wirtschaftsmacht Japan zu bewerben. Wild kauft, was er im Internet bekommen kann - bis die Preise anziehen. So entsteht die Serie "Ukiyo-e". Die kostbaren vintage "Pigmente" werden zu singulären "Beermats" verarbeitet. Was am Flughafen in Tokyo begann, setzt sich quasi innerhalb der Airline-Industrie fort - gerade so wie man dieses gleichsam wunderbare wie seltsame Inselreich eben auch zumeist aus der Luft erreicht bzw. wieder verlässt. Und hier könnte sich der Kreis schließen, tut er aber nicht.
Zeitgleich zu dieser Ausgabe von "virtuell" streunt Albrecht Wild erneut durch die schmalen Gassen von Gion, einem Viertel in Kyoto, im Kopf den wunderbaren Ohrwurm "Alone in Kyoto" von Air (Jean-Benoit Dunckel, Nicolas Godin) aus dem gleichermaßen großartigen Film "Lost in Translation" von Sofia Coppola. Aber das ist eine andere Geschichte ...
"Fokus Atelier" - mit diesem Titel hat Charlotte Trossbach es ernst gemeint. Man kann auch sagen: wörtlich. Das Atelier ist der Schaffensraum eines jeden Künstlers, einer jeden Künstlerin. Hier entstehen die Kunstwerke, die später vielleicht in einer Ausstellung gezeigt werden. In den Ausstellungen liegt der Fokus auf den fertigen Werken ... und eben nicht auf dem Raum, in dem sie entstanden sind.
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Manche Künstler brauchen riesige Hallen für ihre Arbeit, andere mieten sich in Ateliergemeinschaften ein, wo sie entweder einen Raum oder eine Koje bekommen. Die Gemeinschaft hat den Vorteil, dass sie vor Vereinsamung im Atelier schützen kann. Man hat Künstlerkolleginnen und -kollegen um sich. Mit diesen kann man sich austauschen, über die entstehenden Werke reden oder einfach eine Tasse Kaffee trinken. Zurück im Atelier ist die Künstlerin wieder ganz alleine - mit der weißen Leinwand.
Wie bei Schriftstellern, die bestimmte Rituale oder Strategien haben, um mit dem Schreiben zu beginnen, so entwickeln auch Künstler für sich "Zündungsmechanismen". Aber selbst wenn man weiß, was man malen will, ist die ständige Selbstbefragung nicht zu Ende. Stattdessen kommen neue Fragen hinzu. Wird das Bild gut? Kann man das oder jenes (noch) malen? Wann hört man auf zu malen? Wann ist das Bild fertig?
Diese virtuelle Ausstellung lenkt den Blick auf das, was die Künstlerin Charlotte Trossbach um sich sieht, was sie um sich aufbaut, um zu arbeiten - bevor ihre Bilder das Atelier verlassen und in einer realen Ausstellung zu sehen sind. Banale Arbeitsschritte, wie das Auswaschen der Pinsel, sind ebenso zu sehen wie der schweifende Blick der Künstlerin auf die Decke, wo sie kurz die Reflexionen der Diskokugeln (ja, es gibt sie noch) beobachtet.
Fokus Atelier. Diese virtuelle Ausstellung ist der Blick auf den Tatort der Malerei.
"Freiheit für die Kunst" Thomas Baumgärtel begann schon als Student für diese Maxime zu kämpfen - und dieser Kampf zieht sich durch alle drei Dekaden seiner Arbeit. Manche mögen diese Forderung für überzogen halten, aber selbstverständlich ist die Freiheit nicht. Man denke nur an die Verhaftung der Künstlergruppe Pussy Riot oder die Anschläge auf Charlie Hebdo.
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In der dritten Dekade müssen Baumgärtel und seine Künstlerkolleginnen und -kollegen um den Erhalt der Ateliers und der Halle 10 auf dem ehemaligen Clouth-Gelände in Köln-Nippes kämpfen - und verlieren den Kampf. Baumgärtel drückt seine Enttäuschung über die Haltung der Stadt Köln in einem großen Wandbild im Rahmen des Cityleaks Festivals im Jahr 2011 aus: Investoren wird der rote Teppich von Seiten der Stadt ausgerollt, während die Künstler um Einzug in die Stadt kämpfen müssen. Was ist Kunst und Kultur wert?
Kleine Anekdote: Bei einer Tour durch Berlin kommt der Bus mit Touristen zum Bundeskanzleramt. Die Reiseleiterin, waschechte Berlinerin, verweist auf die Skulptur "Berlin" von Eduardo Chillida vor dem Bundeskanzleramt. Ihre Abneigung gegen das Kunstwerk gibt sie zum Besten, und diese Abneigung gipfelt im Benennen des Preises, das für dieses Werk bezahlt wurde. Großes Gelächter im Bus - viele haben offensichtlich wenig Verständnis für Kunst und viel Verständnis für die Reiseleiterin. Kein Versuch - auch nur ansatzweise - die Skulptur zu bescheiben. "Rostig" und "teuer" genügen. Es fehlte nur noch der Satz: "Das hätte mein Sohn/meine Tochter auch machen können."
Umso schöner, dass das Jubiläum 30 Jahre Spraybanane mit der allerersten Kunstausstellung im ehemaligen Regierungsbunker im Ahrtal zusammenfällt. Diese Ausstellung Baumgärtels mit seinem Küsntlerkollegen Harald Klemm trägt den Titel "Deutsche Einheit" - passender könnte es kaum sein.
30 Jahre Spraybanane - 30 Jahre Kunst - 30 Jahre Geschichte.
Nochmals herzlichen Dank an Thomas Baumgärtel, der sein Archiv für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt hat.
Eine wichtige Serie von Bildern in Thomas Baumgärtels Oeuvre sind seine Metamorphosen der Spraybanane. Von der Originalbanane ausgehend transformiert er die gelbe Frucht in andere Bilder. Mit anderer Biegung und veränderter Form wird die Banane etwa zum Dollar- oder Euro-Zeichen. Oder sie bekommt schwarze Fünfecken und wird zur Fußballbanane. Mal taucht die Banane fast unverändert auf, wie bei der Metamorphose "Hammer + Banane", wo sie sich fast unauffällig als Teil des Zirkels tarnt. Mit Hilfe zweier Bananen formt Bäumgärtel das Paragraphenzeichen nach. Irritierend ist, dass dieses neue Zeichen beim flüchtigen Blick kaum vom Original zu unterscheiden ist - mal abgesehen von der gelben Farbe.
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In Teil 2 dieser virtuellen Ausstellung werden die Jahre von 1996 bis 2006 beleuchtet. Baumgärtel hat seine Studien der Kunst und der Psychologie längst abgeschlossen. Seine ersten Atelierumzüge nach dem Studium hat er auch schon hinter sich. Die Wirkung seiner Kunst, dieses Spiel der Aktion und Reaktion, schon einige Jahre erprobt - mit allen positiven und negativen Folgen. Er ist schon weit über Köln hinaus bekannt. 1997/98 geht sogar der Bayerische Rundfunk mit ihm 2 Wochen auf Tour und dreht einen 45 minütigen Filmbeitrag.
Aber ein Künstler ist immer auf der Suche nach dem nächsten Bild, nach dem nächsten Auftritt. In dieser Zeit reifen zwei Großprojekte Baumgärtels heran: die Banane im Kölner Dom zum 750. Jubiläum des Doms im Jahr 1998 und die Banane im Brandenburger Tor in Berlin. Das erste Projekt wurde nach zwei Jahren Planung und Arbeit in einer Nacht- und Nebelaktion am 5. August 1998 umgesetzt. "Wir lieben die Hohe Kirche" titulierte Baumgärtel das Projekt. Kunst und Kirche war schon sein Thema als junger Zivildienstleistender (siehe Teil 1) - und schon damals hat er die heftigen Reaktionen zu spüren bekommen. 1998 sollte es nicht anders sein. Der von Baumgärtel angestrebte "Dialog" mit der Kirche blieb aus - das Hauptportal der Hohen Kirche wurde vorübergehend geschlossen.
Während manche Kritiker Baumgärtels Provokationen als Aufmerksamkeit suchende "publicity stunts" abtun, feiern ihn andere für seinen Humor und seine Kreativität, die Freiheit der Kunst immer wieder zu demonstrieren - ohne Angst vor Folgen und vorauseilenden Gehorsam. Insofern endet dieser zweite Teil der 30-jährigen Geschichte mit der dazu passenden Ausstellung und Performance im Oberlandesgericht in Köln 2006. Der Titel der Ausstellung: "Krumme Dinger". Die krumme Banane, die bei Baumgärtel für so vieles steht - aber zuallererst für die Kunst und deren Freiheit, wird an einem Ort ausgestellt, wo die Gesetze einer offenen und liberalen Gesellschaft angewandt werden.
Nochmals herzlichen Dank an Thomas Baumgärtel, dass er sein Archiv zur Verfügung gestellt hat!
Die folgende Compunteranimation ist von Step-Ani-Motion, Konzeption von Thomas Baumgärtel und Musik von Simon Stockhausen.
Im Jahr 1986 wurde die erste Banane gesprüht. Wo die allererste Banane gesprüht wurde, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Es war auf jeden Fall in Köln - damals die Kunstmetropole Deutschlands. Heute sind es Tausende von Kunstorten, die der Bananensprayer Thomas Baumgärtel mit seinem persönlichen Qualitätssiegel ausgezeichnet hat. Im Januar starten wir eine Reihe von virtuellen Ausstellungen, die wir fortsetzen bis die DavisKlemmGallery nach der Sommerpause ihre neuen Räumlichkeiten eröffnet.
Klicken Sie sich in der Bildergalerie von Bild zu Bild - und Sie sehen in einer Bilddokumentation, wie sich die erste Dekade der Spraybanane entwickelt hat. Mehr...
Im Teil 1 untersuchen wir die Anfangsjahre der Spraybanane.
Was bringt einen jungen Zivildienstleistenden (Anmerkung: in der dritten
Instanz erst wurde er vom Wehrdienst befreit - ein früher Beweis seiner
Hartnäckigkeit.) in einem katholischen Krankenhaus im Jahr 1983 auf die
Idee, eine Bananenschale an einem Kreuz zu befestigen als Ersatz für die
zerbrochene Jesusfigur? Thomas Baumgärtel, in Rheinland aufgewachsen, hat
eine Reaktion einkalkuliert – vielmehr hat er bewusst eine Reaktion
provoziert. Dieses Spiel zwischen Aktion und Reaktion sollte prägend sein
für seine Kunst und für seine späteren Projekte.
Von 1985 bis 1990 studiert Thomas Baumgärtel Freie Kunst an der
Fachhochschule in Köln. Ein Diplom in Psychologie folgt, sowie eine
Ausbildung zum Kunsttherapeuten. Die Erinnerung an die „Ur-Banane“, wie er
die Bananenschale am Kreuz nennt, lässt ihn als junger Student nicht los.
Vielmehr ist es der Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit
der Banane als Ersatz, als Stellvertreter, als Symbol für Freiheit, für
Schalk, für Krummes, für … Alles.
1986 entwickelt er die „Spraybanane“, mit der er zunächst in Köln von ihm
für gut befundene Kunstorte markiert . 1987 schreibt er selbst über sein
„Bananenprojekt Köln“: „ich wollte in einer genauen Dokumentation und
Untersuchung festhalten, welche Wirkung das Graffiti hat, was die Leute in
die Banane hineinsehen, und wie sie sich ihr gegenüber verhalten.“ Das
konnte er am eigenen Bankkonto erleben: zahlreiche Geldstrafen für
Sachbeschädigung und Reinigungsdienste. Aber es gab auch Anhänger seiner
Idee - Briefe von Galeristen, die auf eine Banane warteten, oder deren
Banane unachtsam übermalt worden war und nun vermisst wurde. Der
Bananensprayer war angekommen.
In dieser Reihe von virtuellen Ausstellungen wollen wir zum 30. Jubiläum der
Spraybanane Baumgärtels Idee beleuchten und einige Höhepunkte seiner
Geschichte in Erinnerung rufen. In drei virtuellen Ausstellungen werden die
drei Dekaden beleuchtet. Zweifelsohne gehört Baumgärtels Bearbeitung von
Wolf Vostells Plastik „Ruhender Verkehr“ auf dem Hohenzollernring in Köln zu
den großen Projekten der ersten zehn Jahre. Es ist ein Paradebeipiel für das
Spiel zwischen Aktion und Reaktion.
Die erste Übersprühung mit Bananen war am 16./17. März 1993. Anfang April
begann er auf dem „Dach“ der Vostell-Plastik zu zelten. Die Überschrift der
Kölner Stadtanzeiger vom 10./11. April 1993: „Bananenstreik auf Kölns
kleinstem Campingplatz“. Wolf Vostell war nicht mit der Überarbeitung seines
Kunstwerks durch Baumgärtel glücklich und wollte, dass es von Bananen
befreit wird. Baumgärtel geht in den Bananenstreik und beginnt
Unterschriften pro Banane zu sammeln. Am 17. April wird die Plastik von
einem Unbekannten mit weißer Farbe grob übertüncht. Anfang Juni sprüht
Baumgärtel dann die „Euroversion“. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni wird
die Skulptur abmontiert und wegtransportiert - für die Reinigung. Wie
Baumgärtel darauf reagierte, ist in der Bildergalerie zu sehen …
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Thomas Baumgärtel, der sein sehr
umfangreiches Archiv für dieses Internetausstellungsprojekt zur Verfügung
gestellt hat.