Blick in die Ausstellung
Projekt #5: Nicole Fehling
DavisKlemmGallery Projektraum, Kirchstraße 4, 65239 Hochheim am MainProjekt #5: Nicole Fehling
DAS MATERIAL
Papier ist fragil. Es ist leicht zu verarbeiten. Man findet es im Alltag in Verpackungen verschiedenster Form. Als „Wegwerfmaterial“ wird der Wert von Papier in seinem Dasein als Schutz für hochwertige Produkte eher gering bemessen. Die Coronakrise löste jedoch – wie in vielen anderen Bereichen – auch eine „Papierkrise“ aus. Durch die Lieferengpässe wurde deutlich, dass Papier keineswegs ein jederzeit verfügbares Material ist. Die Künstlerin konnte glücklicherweise noch ausreichend viele Bögen des von ihr bevorzugten Papiers in einer Stärke von 130g/m² und genau dem Weißton, der einen Stapel von einfachen Kartons zum Strahlen bringt, besorgen.
DIE KÜNSTLERIN
Nicole Fehling (*1969) studierte Kommunikationsdesign in Wiesbaden und anschließend Bildende Kunst bei Frau Prof. Knoche-Wendel an der Kunsthochschule Mainz. Verschiedene Arbeitsstipendien in Wiesbaden, zuletzt seit 2020 des Künstlervereins Wiesbaden, ermöglichen ihr, sich auf das Thema zu konzentrieren, das sie in allen ihren Arbeiten beschäftigt: Verpackung. Dabei adaptiert sie bekannte Formen und erweitert deren Wirkungsweise durch Reduzierung auf ihre wesentliche Rolle als Papierhülle. Zentrale Aspekte sind zum Beispiel industrielle versus individuelle Herstellungsweise und Spannungsfelder zwischen Ordnung und Chaos, aber auch ganz persönliche Bedeutungen von Verpackungen im Alltag.
DIE HERSTELLUNG
Statt wie ihre Vorbilder aus der Verpackungsindustrie aus der Maschine, entsteht jede einzelne Box in Handarbeit. Nicht nur das Falten, sondern auch das Ausschneiden aus den Papierbögen übernimmt die Künstlerin selbst. Warum? Weil eine Maschine nicht genau die Perfektion erreicht, die die Künstlerin mit der Hand erreichen kann. Weil das routinierte Arbeiten eine meditative Monotonie auslöst, die aus der Masse an gleichen Produkten eine Reihe von Einzelobjekten macht. Der Gegensatz zwischen perfekter Serienherstellung und individuellem Objekt erzeugt Spannung. Der Automatismus unseres alltäglichen Konsums, der eine Installation mit fünf Kartons ähnlich betrachtet wie eine aus 500 Kartons, wird in Frage gestellt. Brauchen wir tatsächlich die 495 Kartons mehr? Eine durch Online-Shops bewusst ausgelöste oder auch krisenbedingten Mangel entstandene Gier nach mehr, wird mit Blick auf eine aufwendige Herstellung als unnötig und unreflektiert enttarnt.
DIE EINFLÜSSE
Verpackungen sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Spätestens seit der Überhöhung von Konsumprodukten in der Pop-Art durch beispielweise Andy Warhol sind Verpackungen auch in der Kunst relevant. Statt die Werbeästhetik zu übernehmen, reduziert Nicole Fehling Verpackungen auf ihre reine äußere Form. Diese leere Hülle verliert den prestigeträchtigen Charakter, den vielleicht ein Chanel-Zeichen auslöst. Ihre Vorliebe für ein als billig empfundenes Material wie Papier, stellt Fehling sogar gedanklich, wenn auch nicht ästhetisch in eine Arte Povera Tradition, die den Materialwert ihrer Objekte so niedrig wie möglich hält. In dem Spannungsfeld zwischen Überhöhung in Form und Herstellung einerseits und günstigem Wegwerfmaterial ohne Aufdruck andererseits bewegt sich auch diese Installation.
DIE INSTALLATION
Leere Kartons stapeln sich fast bis zur Decke. Die sich auftürmenden Papierhüllen scheinen einen Überfluss an Material darzustellen. Doch ohne Inhalt werden die Türme sogar noch fragiler. Ein Windstoß kann sie umwerfen. Die Form dieser Kartons ist durch die Coronakrise seltsam vertraut: die Verpackung von OP-Masken in 50er-Packs findet man nicht nur im beim Arzt oder in öffentlichen Einrichtungen, sondern auch in Supermärkten und sogar zuhause sind sie ein vertrauter Anblick geworden. Aus dem Mangel zu Beginn der Ausbreitung des Virus wurde inzwischen ein Überfluss, der sich in weggeworfenen oder verlorenen Masken am Straßenrand bemerkbar macht. Nicole Fehring führt uns vor Augen, wie die letzten zwei Jahre nicht nur unser Konsumverhalten beeinflusst haben, sondern auch unsere Sehgewohnheiten.
DER RAUM
Der 20 m² große Raum, in dem früher Stifte und Schulhefte verkauft wurden, steht nun Künstler*innen der DavisKlemmGallery zur Gestaltung zur Verfügung. Statt regelmäßiger, aber begrenzter Öffnungszeiten, ist der Raum rund um die Uhr zu besichtigen: Durch die große Fensterfront ist der komplette Raum und damit das jeweilige Projekt ständig einsehbar. So werden hier wechselnde Projekte, Installationen, Kunstwerke und Künstler zu entdecken sein. Die aktuelle Präsentation wird bis 6. Juni 2022 zu sehen sein.